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Freimuth Eigenbier gibt unaufgefordert Tipps, macht manchmal Cartoons, fotografiert wild in der Gegend rum und ist ferner ein Genie der Alltagslyrik. Kann auch vorkommen, dass er von sich selbst oder über Medienkram schreibt.

Sonntag, 18. März 2007

Stille Güte und Angst vor Peter Sloterdijk

Es sei, so Max Goldt zu Beginn des Abends, nicht das erste Mal, dass er auf einem Schiff lese. Das erste Mal allerdings auf einem fahrenden Schiff, das andere habe lediglich vor Anker gelegen und nicht abgelegt. Genau dies tut jedoch das Flaggschiff des Rheinschifffahrtsunternehmen mit dem paradoxen Namen »Köln-Düsseldorfer« im Verlauf der Lesung. Wie es die Ankündigung im »lit.Cologne«-Programm versprach, trägt Goldt aus seinem neuen Buch »QQ« vor, sowie noch weitere neuere Texte (einen zumindest).

Gekonnt und sympathisch, angenehm unglamourös und meistens bescheiden, bestreitet Max Goldt sein Programm, sagt aber auch weniger bescheidene Dinge wie: »Der folgende Text trägt einen schönen Titel, den müsste ich mir eigentlich schützen lassen, damit Peter Sloterdijk ihn mir nicht klaut.« Der Text heißt »Prekariat und Prokrastination« und soll hier als erstes Beispiel für Goldts Essays dienen. Erschienen im Herbst 2006 als Kolumne in der Titanic beschäftigt er sich mit zwei Dingen: dem seinerzeit hochaktuellen und inzwischen etwas verdrängten Thema der sogenannten »neuen Unterschicht« und dem wirklich neuen Namen, der für sie gefunden wurde, einerseits, und dem Phänomen des krankhaften Aufschiebens eigentlich anstehender Arbeiten andererseits. Dieser Text ist beispielhaft für Goldts Talent, Dinge miteinander durch scheinbares Abschweifen zu verbinden, Dinge, zwischen denen der Leser zunächst keine Verbindung zu erkennen vermag. Dabei schreibt er Sätze wie diesen (über den Begriff des »Prekariats«):

Praktisch ist wohl auch, daß diejenigen, um die es geht, die vermeintlich Chancenlosen, eigentlich eher Lethargischen und Resignierten, die nicht mehr kochen und haushalten können und daher früh dick und krank werden, gar nicht merken werden, wenn von ihnen die Rede ist, denn ihr Interesse an neuen soziologischen Fachtermini ist traditionell gering.

Ein anderes Beispiel: »Nein zu Masermontag«. Darin erwägt Goldt die Einführung eines vierten »richtig schön gesellschaftslähmenden und wirtschaftsschädigenden Doppel- bis Dreifachfeiertag« zum Beispiel versuchsweise »Ende der dritten Septemberwoche«. Dieses Fest solle »Masern« heißen, »weil das eben so ist in kultivierten alten Sprachen: Unterschiedliche Dinge tragen den gleichen Namen, und sollte ein Kind an Masern die Masern bekommen würde sich die gleiche Heiterkeit einstellen wie an einem feuchten Tag, an dem man von Gießen nach Regensburg reist.« Dann schildert er dieses Feiertagswochenende, inklusive des sonntäglichen Flanierens entlang der Schaufenster geschlossener Geschäfte und des abschließenden Masermontag, an welchem Fernsehsender ihr Programm mit der Wiederholung von Fünfzigerjahrespielfilmen bestreiten würden. »Nach einem Film dieser Sorte ist man malade, nach zweien multimorbid, nach dreien multimorbid-moribund.« Schließlich plädiert er herzlich gegen die von ihm selbst aufgeworfene Idee und für eine Straffung der »zerdehnten Hauptfeste« Weihnachten, Ostern und Pfingsten.

Max Goldt schafft große Unterhaltung, ruft lautes, herzhaftes Lachen ebenso hervor wie stilles Staunen – über ausgefeilte Satzgebilde, die ihresgleichen suchen, über Gedankengänge und Gedankenwindungen, die ohnegleichen sind. In seinem Klappentextgejubel meint der vielgelesene Erfolgsjungautor Daniel Kehlmann, der mit Ruhm und Auszeichnungen bereits bedacht wurde: »Max Goldt gehört gelesen, gerühmt und auszeichnet.« Dem muss man nicht zwingend zustimmen, denn was Goldt auszeichnet ist die stille Größe, stille Güte – die »quiet quality«, die dem Buch »QQ« den Namen gab.

Es war wohl eine Lesung, wie Max Goldt sie in den nächsten Monaten im Dutzend bestreiten wird. Die wunderbare Kombination mit nächtlicher Lichterfahrt auf dem Rhein gab der Veranstaltung allerdings ein erinnerungswürdiges Ambiente, sodass die Frage, »Was ist die lit.Cologne eigentlich außer einem Haufen Lesungen, die ›zufällig‹ in der gleichen Woche stattfinden?« guten Gewissens mit einem »Manchmal etwas wirklich Besonderes« beantwortet werden kann.

Max Goldt: »QQ«, Berlin: Rowohlt 2007. 224 Seiten. ISBN: 3871345814. 17,90 Euro.
Sowie als Doppel-CD bei Hörbuch Hamburg, Laufzeit 150 Min. ISBN: 3899034090. 19,00 Euro.

Tourdaten, sowie die gemeinsam mit Stephan Katz verfassten Comics finden sich unter www.katzundgoldt.de.

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